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Interview mit Jörg Teichgraeber


 

DER LAIB-EIGENE


 

Ende einer Brot-Zeit: Ab Samstag, 5. September, zeigt der KI.KA die dritte und letzte Staffel der Puppenserie „Bernd das Brot“. In zwölf neuen Folgen, die das ständig nörgelnde Kastenbrot für „Mist“ hält, schlägt sich der Teigwaren-Antiheld mit seinen Kollegen Chili das Schaf und Briegel der Busch herum. Prominente Gäste wie Oliver Kalkofe, Bastian Pastewka und Susanne Pätzold („Switch Reloaded“) runden die neuen Turbulenzen in der Schlossallee 27 ab. Nach dem Ende der Serie wird Jörg Teichgraeber, der Bernd seit neun Jahren Stimme und Charakter verleiht, die populärste Puppe Deutschlands aber nicht vollends von der Hand streifen. Der KI.KA plant ein neues Format. Im Interview spricht Diplom-Puppenspieler Jörg Teichgraeber über sein brotiges Alter Ego, seine Projekte in Schweden und Bernds mögliche Fernsehzukunft.


 


 

Woraus besteht Bernd das Brot?


JÖRG TEICHGRAEBER: Aus gebackenem Latexschaum, aus Plastikaugen und ein paar Metallschrauben.


Wie haucht man diesem toten Material Leben ein?


Meine rechte Hand steckt in der Handpuppe und bewegt den Mund. Das ist eine klassische Klappmaulpuppe. In der linken Hand halte ich den Bowdenzug und kann mit meinem Daumen die Augen bewegen. Das ist alles mechanisch wie bei einer Fahrradbremse. Die kurzen Arme kann ich nicht steuern. Die können nur wackeln.


Wie sind Sie und Bernd das Brot zusammengekommen?


Ich war noch im Studium, als mir meine Professorin ein Fax unter die Nase hielt. Der Kinderkanal hatte schon mehrere Puppenspieler für das Brot gecastet, fand aber nicht den Richtigen. Also rief ich den zuständigen Redakteur an und sagte mit sehr sonorer Stimme: „Ich habe gehört, Sie suchen eine Stimme für ein Brot.“ Rückblickend würde ich das als Kantinenschauspielerei bezeichnen. Aber ich wurde sofort eingeladen.


Wie muss ein Brot sprechen?


Tief. Sehr tief. Das ist ja ein Grundnahrungsmittel.


Was haben Sie beim Casting machen müssen?


Weil Bernd halbgetrocknet beim Puppenbauer lag, musste ich ersatzweise eine deprimierte Ratte spielen. Der habe ich Bernds Stimme gegeben. Ich bekam den Job, zehn Tage später begannen die Dreharbeiten.


Wie viel Schauspielerei steckt im Puppenspiel?


Ich sage immer, ich spiele nicht MIT einer Puppe, sondern DURCH eine Puppe. Mit ihrer Hilfe kann ich bestimmte Charakterzüge transportieren. Gegenüber einem Schauspieler habe ich den Vorteil, dass ich meine Arbeit zeitgleich auf einem Monitor sehen kann. Stimmt die Position? Stimmen die Bewegungen? Der Schauspieler braucht Markierungen auf dem Boden, ich kann mir selbst bei der Arbeit zusehen.


Bei den Dreharbeiten in Berlin-Adlershof wird Ihre Originalstimme aufgezeichnet. Wäre es nicht einfacher, die Texte hinterher draufzusprechen?


Im Gegenteil. Das wäre aufwändiger. Außerdem ginge dann der Witz des Augenblicks verloren. Ich will das live einspielen. So hat auch Jim Henson immer gearbeitet, der große Begründer des Fernsehpuppenspiels. Einfach nur die Puppe zu bewegen und das hinterher betexten zu lassen, womöglich noch von einem anderen Sprecher, wäre überhaupt nicht mein Traumjob.


Wie reagieren Menschen, wenn sie hören, dass Sie Puppenspieler sind?


Das reicht von Ignoranz bis Unglaube. Einige fragen auch: „Kann man davon leben?“ Der Beruf des Puppenspielers ist halt nicht so weit verbreitet und etabliert wie der Beruf des Schauspielers. Das Klischee vom Kasperletheater auf dem Jahrmarkt ist nach wie vor weit verbreitet.


Kommt der Beruf nicht ursprünglich daher?


Richtig. Die Puppenspieler haben im Wien des 17. Jahrhunderts angefangen. Man vergisst gern schon mal, dass auch das große bürgerliche Theater aus dem Puppenspiel hervorgegangen ist. Josef Anton Stranitzky hat als Kasperlespieler auf Jahrmärkten begonnen, bevor er als Komiker und Wiener Hanswurst auf die Bühne ging. Das Puppenspiel ist also eine Wurzel der modernen darstellenden Kunst. Später wurde es in bürgerlichen Kinderzimmern als pädagogisches Mittel eingesetzt. Dieser Ruf haftet ihm zum Teil noch heute an.


Erfüllt auch Bernd das Brot einen pädagogischen Auftrag?


Gewissermaßen erzieht er zu Medienkompetenz. Er mag das Fernsehen nicht, obwohl er dort arbeitet. Bernd ist eine seltsame Fortsetzung von Peter Lustig, der am Ende von „Löwenzahn“ immer sagte: „Abschalten!“ Das fand ich schon als Kind toll.


Sie wurden 1974 in Stuttgart geboren. Wann traten die Puppen in Ihr Leben?


Im Fernsehen war das sicher Kermit aus der „Muppetshow“, aber es gab auch viele eigene Kreationen. Ich komme aus einem Haushalt, in dem viel gemalt, gebastelt und musiziert wurde. Außerdem gab es schon damals in Stuttgart eine traditionsreiche Puppenspielszene um Albrecht Roser. Er hat auch an „Telemekel und Teleminchen“ oder an „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ mitgearbeitet.


Wann wussten Sie, dass Sie Puppenspieler werden wollen?


Mir war immer klar, dass es etwas Künstlerisches sein sollte. Denn Mathematik habe ich nie verstanden. Ich hatte Kunst Leistungskurs, habe mit 15 Jahren aber auch viel Zeit in der Schultheater AG verbracht. Nach dem Abitur habe ich erfahren, dass man Schauspiel und Puppenspiel gleichzeitig studieren kann.


Welche Ausbildungsmöglichkeiten gibt es in Deutschland?


Es gibt den Studiengang Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und den Studiengang Puppenspielkunst und Darstellende Kunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Ich war an der „Ernst Busch“-Schule. Dort habe ich auch eine grundlegende Schauspielausbildung absolviert. In meinem Jahrgang waren Nina Hoss und August Diehl, die große Filmkarriere gemacht haben. Da komme ich her.


Sie sind seit 2000 diplomierter Puppenspieler. Wie sieht so eine Diplomprüfung aus?


Die besteht aus drei Teilen. Zum einen muss man mit dem Ensemble ein Stück inszenieren, bei dem einem die Professoren und erfahrene Regisseure zur Seite stehen. Zum anderen muss man eine eigene Idee umsetzen und innerhalb eines halben Jahres eine komplette Theaterproduktion auf die Beine stellen. Dann schreibt man noch eine theoretische, theaterwissenschaftliche Arbeit.


Geben Sie Ihr Wissen auch schon an die Puppenspieler von morgen weiter?


Seit 2007 bin ich Gastdozent an meiner früheren Hochschule und an einer privaten Schule für Bühnenkunst in Dänemark. Ich kann den Studenten einen Einblick in die Fernseharbeit geben. Oft versäumen es Schauspielschulen nämlich, umfassend auf die Arbeit vor der Kamera vorzubereiten. Ich hatte das Glück, dass ich beim Kinderkanal von Anfang an sehr viele praktische Erfahrungen vor der Kamera sammeln konnte. Manches habe ich auch bei einem Workshop der Jim Henson Company gelernt. Jetzt gebe ich mein Wissen an Theaterstudenten weiter, damit sie nicht untergehen, wenn sie mal zu einem Fernsehcasting wollen.


Wie groß ist der Bedarf an Puppenspielern?


Es gibt auf jeden Fall einen Arbeitsmarkt. In Deutschland, wo die beiden genannten Hochschulen jedes Jahr nur 17 Puppenspieler ausbilden, ist er damit allerdings schon recht voll. Ich schätze, dass 70 Prozent der Abgänger in diesem Beruf Arbeit finden und auch Geld verdienen. Die anderen 30 Prozent finden einen Job in vergleichbar kreativen Berufen oder im Kulturmanagement. Einige machen auch Animationsfilme oder Computerspiele. Ich glaube, in dieser Branche gibt es einen großen Arbeitsmarkt für ausgebildete Puppenspieler. Die Studios suchen ja nicht nur Computercracks, sondern vor allem Leute, die wissen, wie die Figuren sich bewegen müssen.


Wenn Sie nicht Bernd das Brot in Deutschland spielen, leben und arbeiten Sie im südschwedischen Karlshamn. Was hat Sie dorthin verschlagen?


Wir haben mit schwedischen Künstlern ein Projekt auf die Beine gestellt, das in Berlin und in Schweden aufgeführt wurde. 2006 sind die Regisseurin Ada Auf der Strasse – sie heißt wirklich so – und ich dann in Schweden hängengeblieben. Einfach so.


Kommen viele deutsche Besucher in Ihre Stücke?


Zurzeit touren wir vor allem. Da muss ich die schwedische Kulturpolitik loben. Im Grundgesetz steht, dass jeder Bürger, unabhängig von seinem Einkommen, Zugang zu Bildung und Kultur haben muss. Schüler können gratis ins Theater. Jede schwedische Schule hat ein Budget dafür. Eine staatliche Organisation veranstaltet Festivals, bei denen auch freie Produzenten wie wir ihre Stücke vorstellen dürfen. Die werden dann für die einzelnen Schulen eingekauft. Das hat dazu geführt, dass wir durch eine einzige Präsentation bei diesem Festival eine ganze Tournee mit 50 Aufführungen zusammenhatten. Das ist in Deutschland nicht möglich.


Schlägt die deutsche Bürokratie Sie in die Flucht?


Das kann man so nicht sagen, denn auch Schweden hat sehr viel Bürokratie. Berlin ist kulturell eine sehr inspirierende Stadt. Aber es fühlt sich nicht gut an, vor Berliner Schülern zu spielen, bei denen die Lehrerin für die Aufführung jeweils drei Euro einsammeln musste, obwohl 40 Prozent aus Familien mit Hartz IV kommen. Das entspricht einfach nicht meiner Auffassung von Kultur. Weil Theater für diese Kinder ein nicht zu bezahlender Luxus bleibt, weichen sie jeden Tag Stunden lang aufs Fernsehen aus. Das ist quasi kostenlos und ein schlechter Kulturersatz.


Welche Stücke führen Sie in Schweden auf?


Das erste Stück musste natürlich von Astrid Lindgren sein. Bei „Nils Karlsson Däumling“ spiele ich erst den großen Jungen und dann als Puppenspieler die kleine Marionette. Die Kinder machen das immer mit. Obwohl ich noch auf der Bühne zu sehen bin, ist für die ganz logisch, dass ich jetzt die kleine Marionette bin. Die sieht ja so aus wie ich. Dann haben wir noch das Stück „Cranky“ entwickelt. Meine Kollegin Ada Auf der Strasse spielt eine Kultursekretärin, die wegen Budgetkürzungen eine Puppenspielerin einsparen musste. Deshalb spielt sie die Klappmaulpuppe jetzt selbst. Und diese Puppe beschwert sich wiederum, dass ihre alte Puppenspielerin nicht mehr da ist. Daraus ergibt sich der besondere Humor des Stückes. Das ist ein sehr politisches Stück für größere Kinder.


Wie gut ist Ihr Schwedisch?


Nach drei Jahren in Karlshamn können wir auf Schwedisch spielen, aber beim Schreiben der Texte sind wir auf Hilfe angewiesen. Die bekommen wir von Manne Klintberg, einem in Schweden berühmten Fernsehclown. Er hatte in den 70er Jahren eine Kindersendung und ist für uns ein Glücksfall.


Was planen Sie als nächstes?


Wir wollen unsere Zusammenarbeit mit dem Kreativum in Karlshamn ausbauen. Das ist ein pädagogisch-spielerisches Erlebniscenter für Schüler und Familien. Am Eingang steht eine alte Gasglocke, in die wir ein Puppentheater bauen wollen. Wir können die erste Mondlandung nachspielen oder zeigen, wie Albert Einstein und Thomas Alva Edison als Kinder gelebt haben. Ich halte das Konzept für sehr zukunftsträchtig, weil es zielgruppenorientiert ist. Außerdem ist die ganze Werbung schon durch das Kreativum abgedeckt. Ich hoffe, dass wir bald beginnen können.


Lockt das Kreativum auch viele deutsche Touristen an?


Ja, wenn ich aus dem Fenster meines Büros schaue, sehe ich auf dem Parkplatz viele Autos mit deutschen Kennzeichen. Bestimmt ein Drittel. Im Sommer könnte das Kreativum auch Puppenspielaufführungen in deutscher Sprache anbieten.


Besteht die Gefahr, dass die deutschen Zuschauer enttäuscht sind, weil Bernd das Brot nicht Teil der Bühnenshow ist?


Nein. In Schweden sowieso nicht. Aber auch bei Aufführungen in Deutschland ist das noch nicht passiert. Bernd ist durch das Fernsehen zwar sehr öffentlichkeitswirksam. Aber er ist nicht mein hauptsächliches Arbeitsfeld. Auch Kinder können erstaunlich gut zwischen einer Kunstfigur und ihrem Darsteller unterscheiden.


Wie viele Bernd-Puppen haben Sie zu Hause in Schweden?


Ich habe eine große Stoffpuppe, die ich mir selbst gekauft habe. Und mein Sohn hat eine kleine Puppe in seiner großen Kuscheltiersammlung. Das war’s. In meinem Büro sammelt sich aber viel Literatur über Jim Henson und die Geschichte meines Berufsstandes, angefangen bei priesterähnlichen Puppenspielern in Indonesien.


Bekommen Sie Fanpost?


Das kommt vor und schmeichelt mir sehr. Für den Puppenspieler ist es ja Glück und Fluch zugleich, dass alle nur die Puppe kennen, aber niemand den Spieler. Meine Fanpost füllt inzwischen immerhin einen Ordner, in dem ich alles sorgfältig aufhebe. Zu meinem 35. Geburtstag hat mir sogar Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit einen Brief geschickt. Mit Siegel des Berliner Senats. Er lobte meine Theaterarbeit in Berlin und schrieb über seine Hoffnung, dass ich durch Bernd Berlin die Treue halte. Das fand ich unglaublich nett.


Im Januar 2009 stahlen Hausbesetzer eine zwei Meter große Bernd-Skulptur vor dem Erfurter Rathaus und produzierten ein Entführer-Video. War das ein PR-Gag?


Das war doch kein PR-Gag! Bernd wurde wirklich von den Hausbesetzern entführt. Das Video war sehr authentisch, aber ich lege Wert darauf, dass ich das nicht gesprochen habe. Die haben die Sätze aus den Fernsehsendungen genommen und sie neu zusammengesetzt. Ich hätte das niemals gesprochen. Ich bin gegen Gewalt und Entführung. Aber über dieses Entführer-Video habe ich mich köstlich amüsiert.


Wann kommt Bernd das Brot ins Kino?


Ich weiß es nicht. Tommy Krappweis, der Regisseur, erzählt mir seit fünf Jahren von einem solchen Projekt. Ich hoffe, dass der Film irgendwann gedreht wird.


Plant Bernd das Brot nach dem Ende seiner eigenen Serie neue Fernsehprojekte?


Die Zeit ist reif, um Bernd als Latenight-Talker zu etablieren. Das habe ich auch schon dem Kinderkanal vorgeschlagen, aber bislang keine Antwort bekommen. Bernd hat im Fernsehen alles ertragen und die höchste Form der Medienkompetenz erreicht. Jetzt sollte er in einer eigenen Talkshow über das Mediengeschäft reden. Gerade weil der Kinderkanal erwachsener werden möchte und sich an die neue Zielgruppe der „Keenies“, also zwischen dem Kinder- und Teenageralter, richten will, wäre Bernds eigene Talkshow eine logische Schlussfolgerung.


Sollen Gäste kommen? Oder muss man Bernd anrufen wie bei „Domian“?


Bernd das Brot soll der Harald Schmidt oder David Letterman des Kinderfernsehens werden. Gerade, weil er das Fernsehen nicht mag. Solche Anti-Talkmaster zeichnen sich durch ihren besonders trockenen Humor aus. Bernd würde am Anfang natürlich keine Witze über Tagespolitik machen, sondern über Alltagskatastrophen berichten, mit denen sich jeder identifizieren kann. Dann kommen prominente Gäste wie Bela B und Bastian Pastewka, der sich ständig neu verkleidet, um immer wieder in die Sendung kommen zu können, oder Schüler, die etwas Besonderes können.


Wechselt Bernd das Brot den Sender, falls der Kinderkanal kein Interesse am Konzept hat?


Nein. Bernd gehört dem Kinderkanal. Der kann gar nicht wechseln. Aber das Konzept würde auch mir als Puppenspieler die Möglichkeit geben, mit der Figur neue interessante Dinge auszuprobieren.


Abschlussfrage: Welches Brot ist Ihnen im wahren Leben das liebste?


Auf jeden Fall deutsches Brot. Schwedisches ist immer gesüßt. Es gibt nichts über eine gute deutsche Vollkornschnitte.


Das Gespräch führte Michael Scholten.


SA 5.9. KI.KA 11.05 Uhr



 
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